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Essay: Impfpflicht ist der einzige Weg aus der Lockdown-Endlosschleife

Der Zwickauer Bundestagsabgeordnete Carsten Körber hat sich als einer der ersten Politiker innerhalb der Sächsischen Union für eine generelle Impfpflicht im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie ausgesprochen. Dies sei angesichts der zu niedrigen Impfquote der einzige Weg aus der Lockdown-Endlosschleife. In diesem Essay begründet Körber seinen Einsatz für die Impfpflicht.

Carsten Körber MdB

Impfgegner beziehen sich gerne auf unser Grundgesetz. Ganz am Anfang finden sie dort in Artikel 2 Absatz 2 direkt diesen wirklich schönen, ich möchte sagen, wunderschönen Satz „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Ich persönlich bin ein wirklich großer Fan dieses Satzes. Im Ernst. Spiegeln sich in ihm doch Jahrhunderte politischer Entwicklung wider. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist eine wahrhaft zivilisatorische Errungenschaft Ersten Ranges. Da sind wir uns wohl einig.

Leider hören die meisten dann schon wieder auf mit der Lektüre unserer Verfassung. Dabei sollte wenigstens dieser eine Artikel 2 zu Ende gelesen werden. Denn nach dem Satz „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ findet sich in Art. 2 Abs. II der Satz 3, der da lautet: „In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“.

Ups. Und da haben wir es schon, das kleine Problem. Einige derer, die die Impfung ablehnen, gehören ganz offensichtlich auch zu den Menschen, die ernsthaft der Ansicht sind, dass Grundrechte nicht mit Verantwortung einhergehen und dass sie auch schrankenlos zu gelten haben. Sorry, das ist leider falsch.

Aber ich vermute, viele derer gehören wahrscheinlich auch zu den Leuten, die glauben, ihre Meinungsfreiheit bedeute, dass man ihnen nicht widersprechen dürfe. Dem ist nicht so. Kein Grundrecht gilt schrankenlos.

Wir alle haben das Glück, in einem Land zu leben, in dem Meinungsfreiheit herrscht. Jeder darf seine Meinung frei äußern. Meinungsfreiheit heißt aber auch, dass andere dieser Meinung widersprechen dürfen. Und dieser Widerspruch ist dann kein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, diesen Widerspruch muss man ertragen. Auch das ist Teil der Meinungsfreiheit. Das vergessen rechte Bauernfänger und Verschwörungstheoretiker leider gerne.

Stellen wir also fest: Grundrechte wie die Meinungsfreiheit gelten nicht schrankenlos. Das gleiche gilt für das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Impfgegner verletzt sehen, wenn ich mich positiv über eine Impfpflicht äußere. So wie übrigens auch der mutmaßlich künftige Bundeskanzler der linksgelben Ampelkoalition, Olaf Scholz. Bevor ich es vergesse: Selbst in Sachsen bekomme ich für meine Forderung nach einer Impfpflicht mittlerweile weit mehr Applaus als Buhrufe.

Der englische Philosoph John Stuart Mill vertrat die Ansicht, dass jeder einzelne Mensch über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist souveräner Herrscher ist. Diese Idee hat etwas sehr Überzeugendes an sich. Sie sichert nicht nur des Menschen Freiheit gegenüber dem Staat in Belangen, in welchen die Ausübung dieser Freiheit Dritten keinen Schaden zufügt. Mehr noch, sie sichert letztlich auch die Individualität des Menschen.

Auf dieser Idee beruht die Tatsache, dass Menschen Aktivitäten ausüben dürfen, die für sie gefährlich, ja tödlich sein können: zum Beispiel Extremklettern, Autorennen, Bungeejumping, usw. Bedingung ist jedoch stets, dass dadurch Anderen nicht geschadet werden darf. Dabei muss schon die reine Möglichkeit einer Gefährdung anderer vermieden werden, denn Risiken haben die Tendenz, sich zu verwirklichen.

Das natürliche Gegenstück dieser Souveränität, durch welche die Selbstbestimmung des Menschen begründet wird, ist die Selbstverantwortung. Zur Selbstverantwortung gehört, dass man die – gegebenenfalls auch unbeabsichtigten, negativen – Folgen des eigenen Handelns oder Unterlassens zu tragen hat.

Es ist unzweifelhaft Stand der modernen Wissenschaft, dass Impfungen in der Lage sind, Geimpfte vor dem Erkranken oder zumindest vor schweren Folgen einer Erkrankung zu schützen.

Es war die Pockenimpfung, dank der es gelungen ist, die Pocken auf der Welt auszurotten. Es war die Kinderlähmungs-Schluckimpfung, dank der es gelungen ist, jene Krankheit bis auf wenige Reste in schwer erreichbaren Gebieten, vorwiegend Afghanistan und Pakistan, an den Rand der Ausrottung zu bringen. Es gibt die Masernimpfung, die in der Lage wäre, auch diese Bedrohung der Gesundheit der Menschen auszurotten, der heute pro Jahr noch immer etwa 200.000 Menschenleben, vor allem in Afrika, zum Opfer fallen.

Wer sich trotz dieser Erkenntnis für die Nützlichkeit von Impfungen selbst nicht impfen lassen will, nimmt in Kauf, dass er selbst erkrankt, mit gravierenden Gefahren für sich und Dritte. Und hier kommt dann die Güterabwägung ins Spiel, welche Rechte Vorrang haben. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit vereinzelter Impfgegner – und Ja, sie sind die Minderheit, ganz egal, was ihre Blasen bei Facebook oder Telegramm ihnen weismachen wollen – oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit.

Ich respektiere, dass nicht jeder mit mir einer Meinung ist. Völlig klar. Und ich respektiere es, wenn andere, z.B. auf Demonstrationen ihre Meinung äußern, auch und gerade wenn sie dabei das Handeln von Bundestag und Bundesregierung kritisieren. Dass das bei uns möglich ist, finde ich absolut wichtig, gut und richtig. Und diese Freiheit unterscheidet uns von einer Diktatur oder auch von illiberalen Systemen wie in Russland oder China.

Um es ganz deutlich zu sagen: Jeder hat in diesem Land die Freiheit, sich so zu verhalten, wie er mag, solange – und hier gilt die notwendige Einschränkung – er andere in seinem Tun nicht gefährdet. Aber die Selbstverantwortung führt dazu, dass er auch in Kauf nehmen muss, anders behandelt zu werden als jene, die keine solche Gefahr für andere darstellen. Auch hier gilt für mich: Gleiches soll gleich, Ungleiches ungleich behandelt werden.

In Sachsen sind mittlerweile über 11.000 Menschen im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion gestorben. Damit liegt Sachsen mit 270,1 Toten auf 100.000 Menschen bundesweit leider an der Spitze. Selbst in Russland (183,3) und in den USA (235,7) sind weniger Menschen im Verhältnis gestorben. Dabei sind in den USA bis Ende November mit über 779.000 Toten mehr Menschen gestorben als die USA Verluste in den beiden Weltkriegen, im Korea- und im Vietnamkrieg zusammen zu verzeichnen hatte (rd. 616.000 Soldaten). Das Beispiel nur mal, um die Verhältnismäßigkeit hier etwas gerade zu rücken.

Aber nach wie vor sind einige der Meinung, dass das mit Corona alles furchtbar übertrieben wird. Ich widerspreche dem ausdrücklich. Das tun – viel wichtiger! – vor allem aber die objektiven Fakten!

Oder wer glaubt denn, dass sich jemand, der sich impfen lässt, in eine Kuh verwandelt? Das aber war vor über 200 Jahren eines der gängigsten Gerüchte, mit denen damals Impfgegner gegen die Pockenimpfung mobil machten. Dabei töteten die Pocken um 1800 in Europa jedes Jahr 500.000 Menschen, vor allem Kinder. Noch im 20. Jahrhundert starben an den Pocken 500 Millionen Menschen weltweit. Zwischen 1918 und 1920 grassierte die sogenannte Spanische Grippe. Bei einer Weltbevölkerung von 1,8 Milliarden Menschen erkrankten rund 500 Millionen (rund 27,7% der Gesamtbevölkerung), mindestens 50 Millionen (2,7%) starben, andere Schätzungen gehen von bis zu 100 Millionen Toten (5,5%) aus.

Abermillionen von Menschen sind in der Vergangenheit weltweit an Krankheiten gestorben wie den Pocken, an Gelbfieber, Typhus, Polio und Tetanus – alles Infektionskrankheiten, die entweder von Viren oder Bakterien verursacht werden. Dass wir in Europa heute von diesen Krankheiten nicht mehr bedroht sind, haben wir weltweiten Impfkampagnen zu verdanken. Diese Impfkampagnen wurden aber in allen Zeiten von Menschen abgelehnt, die oftmals ganz ähnlich wie viele Impfgegner auch heute argumentiert haben. Glücklicherweise konnten sich Wissenschaft und Vernunft regelmäßig durchsetzen. Wegweisend war dabei 1807 das Königreich Bayern, das die weltweit erste Impfpflicht gegen Pocken einführte.

Und deshalb bleibe ich bei meiner festen Überzeugung, dass allein eine möglichst hohe Impfquote uns dauerhaft aus der Pandemiesituation herausführen wird. Die vielbeschworene und zurecht auch vielfach eingeforderte Rückkehr zur Normalität wird uns nur über die Impfung gelingen. Das sagen nach wie vor auch alle seriösen Experten. Und da leider die Impfbereitschaft noch immer nicht im notwendigen Maße gestiegen ist, bleibt leider nur die Einführung einer Impfpflicht. Und die damit für einige einhergehende Einschränkung ihrer körperlichen Unversehrtheit ist legitim und rechtmäßig. Im Übrigen bin ich ein großer Freund der Idee, diese Impfpflicht von unseren Gerichten auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Ich sehe der entsprechenden Entscheidung mit Zuversicht und Gelassenheit entgegen.

Denn ich bin mir gewiss, dass die Gerichte zu dem Schluss kommen werden, dass eine Impfpflicht nicht nur rechtmäßig, sondern auch verhältnismäßig ist. Erst jüngst hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Bundesnotbremse“) verfassungsgemäß waren. Und auch die Schulschließungen waren nach der bestehenden Erkenntnis- und Sachlage zulässig. Es ist dieses Prinzip, welches bei der Anwendung von Eingriffen in Grund- und Menschenrechte natürlich zu beachten ist.

Wenn beispielsweise das Vorhandensein eines Covid-19-Attests verlangt wird, mit welchem nachgewiesen wird, dass man entweder ausreichend geimpft worden ist oder dass man von der Krankheit wieder genesen ist, um an einer Veranstaltung teilnehmen oder ein Restaurant besuchen zu dürfen, hat dies zur Folge, dass jene, die diese Nachweise nicht erbringen können, Nachteile in Kauf nehmen müssen.

Dadurch, dass sie sich nicht impfen oder regelmäßig testen lassen, bewirken sie eine Gefahr für Andere: Solange Ansteckungen noch immer zu Krankheitswellen führen können, kann das Virus sich verändern, es kann mutieren, und dadurch auch gefährlicher werden. Das Beispiel dieser Tage ist die mutmaßlich aus Südafrika stammende Omikron-Variante des Virus. Für diese Gruppen der Bevölkerung stellen die entsprechenden Maßnahmen nicht etwa eine Diskriminierung dar. Vielmehr sind diese Maßnahmen gerechtfertigt und zum Schutze anderer geboten. Diese Gruppen könnten anderen nicht Geimpften oder nicht Genesenen noch immer Schaden zufügen, und deswegen darf ihnen die Verpflichtung zur Impfung – solange keine objektiven gesundheitlichen Gründe dagegen sprechen – auferlegt werden.

Es mag natürlich Menschen geben, die Angst davor haben, sich einen neuen und so schnell zugelassenen Stoff verabreichen zu lassen. Aber die aktuell genutzten Corona-Impfstoffe sind die am sorgfältigsten beobachteten Impfstoffe aller Zeiten. Nie zuvor gab es die Situation, dass im Grunde sämtliche Forschungsinstitute weltweit so energisch parallel und zugleich zu einer einzigen Krankheit geforscht haben, wie es bei Corona der Fall war und ist.

Ich bleibe also dabei: Ein kleiner Pieks kann Leben retten, und hat das in der Vergangenheit schon millionenfach getan. Nur mit der Impfung werden wir die Corona-Pandemie erfolgreich bekämpfen können. Und wenn wir dafür eine Impfpflicht einführen müssen, dann müssen wir das tun.

Um es mit den Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder und Winfried Kretschmann, zu sagen: Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen.